Günstige Wohnungen bleiben Mangelware

07. Dezember 2018 - Wer vor zehn Jahren durch Leipzig fuhr, konnte den hohen Wohnungsleerstand mit eigenen Augen sehen. Heute hat sich das Bild drastisch gewandelt. Neubauten statt Geisterhäuser prägen die Stadt. Die Mieten steigen, und die Leipziger klagen über den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Die Stadt möchte nun reagieren: Statt Grundstücke meistbietend zu verkaufen, setzt sie auf Konzeptvergabe. So wurden vor Kurzem drei Grundstücke per Erbpacht vergeben, auf denen alle neuen Wohnungen unter die Förderrichtlinie des gebundenen Mietwohnraums fallen. Maximal zehn Euro Miete dürfen pro Quadratmeter verlangt werden. Die Stadt subventioniert dies mit bis zu 3,50 Euro pro Quadratmeter. 6,50 Euro müssen die Mieter aus eigener Tasche zahlen. Für Leipzig ist das keine Billigmiete, aber immerhin ein Anfang. Seit Jahren sinkt die Zahl der geförderten Wohnungen genauso sicher, wie die Zahl der Anspruchsberechtigten steigt. In deutschen Großstädten ist mittlerweile das Einkommen der Hälfte der Bewohner so niedrig, dass sie Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten. Doch wurde die Zahl solcher Wohnungen in den frühen 1980er-Jahren noch auf vier Millionen geschätzt, waren es 2016 nur noch knapp eine Million. Die Bundesregierung verspricht Milliardeninvestitionen in den Wohnungsbau. Eine Besserung ist dennoch nicht in Sicht. Wie dringend Sozialwohnungen in Deutschland benötigt werden, zeigt das Gutachten „Mietbelastung, soziale Ungleichheit und Armut“ des Sozialverbandes Deutschland. Danach zahlt die Hälfte aller Mieter mehr als 29 Prozent ihres Haushaltseinkommens für die Miete einschließlich Nebenkosten, aber ohne Heizkosten. Bei Personen, die weniger als 1300 Euro Nettohaushaltseinkommen im Monat haben, frisst die Miete fast die Hälfte des Budgets weg. In einer weiteren Rechnung zeigt der Verband, dass in deutschen Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern nach der Mietzahlung mehr als einer Million Mietern weniger Geld zum Leben bleibt, als ihnen nach Sozialhilfesatz ohne Miete zustünde. Die Studie basiert auf Zahlen der Jahre 2014 und 2015. Angesichts der anhaltenden Mietsteigerungen dürfte die Situation von Geringverdienern seitdem auf dem Wohnungsmarkt eher noch schlechter geworden sein.

Die Bundesregierung reagiert auf diese Situation vornehmlich mit Absichtserklärungen: Bis zum Ende der Legislaturperiode sollen rund 1,5 Millionen Wohnungen neu entstehen. Wie hoch der Anteil von Sozialwohnungen daran sein soll, hat die Große Koalition aus Union und SPD nicht festgelegt. Stattdessen sollen Steuergeschenke private Investoren dazu bringen, mehr Wohnraum zu bauen. Eine Gesetzesvorlage, über die der Bundesrat Mitte Dezember abstimmen wird, sieht vor, dass Investoren für Gebäude, deren Bau bis Ende 2021 beantragt wird, eine vier Jahre laufende Sonderabschreibung (Sonder-Afa) von fünf Prozent der Anschaffungs- oder Herstellungskosten geltend machen können. Nach vier Jahren sind so statt acht bereits 28 Prozent abgeschrieben. Eine Verpflichtung, Sozialwohnungen zu bauen, ist mit der Sonder- Afa aber nicht verbunden. Der Vorschlag der Grünen, die Sonder-Afa an eine Mietobergrenze zu koppeln, scheiterte im Finanzausschuss.

Milliarden vom Bund

Mietbindungen für Sozialwohnungen laufen in der Regel für einen Zeitraum zwischen zehn und 40 Jahren. Bis 2020 fallen jedes Jahr im Schnitt 37 000 Wohnungen aus dieser Bindung, schätzen die Immobilienmarktforscher vom Moses-Mendelssohn- Institut (MMI). Sie stützen sich auf die Ergebnisse einer Umfrage unter 387 Städten mit mehr als 20 000 Einwohnern. Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW hat hochgerechnet, dass Deutschland jährlich 80 000 zusätzliche Sozialwohnungen benötigt. Dazu müsste etwa jede zweite fertiggestellte Mietwohnung eine geförderte sein – eine unrealistische Vorstellung. Das MMI und andere können die Zahlen zu Sozialwohnungen nur schätzen, weil es keine exakten Daten gibt. In den Statistiken fehlen Angaben großer Bundesländer wie etwa Bayern. Nicht einmal die Städte können durchgehend den Bestand ihrer klassischen Sozialwohnungen exakt beziffern. Wie auch, wenn sich bereits die eigenen Wohnungsgesellschaften schwertun, exakte Zahlen zu nennen, wie das Handelsblatt feststellte. Typischerweise wird in den Geschäftsberichten der Gesellschaften zwischen geförderten und nicht geförderten Wohnungen unterschieden, mehr nicht. Letztendlich macht jedes Bundesland, was es will. Wenn eine Wohnung mit Fördermitteln gebaut wurde, sagt das nichts über die Bezahlbarkeit der Mieten aus. Denn für sogenannte preisgedämpfte Wohnungen sind in Metropolen trotz Subventionen für Geringverdiener häufig nicht bezahlbare Anfangsmieten um zehn Euro pro Quadratmeter fällig. Ein „vollkommen intransparenter Markt“, urteilt denn auch Reiner Nittka, Vorstandssprecher des Hotel- und Wohnungsentwicklers GBI. Auf dem Wohngipfel Anfang September versprach die Bundesregierung, bis 2021 fünf Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Über 100 000 zusätzliche Sozialwohnungen sollen so geschaffen werden. Stefan Brauckmann, Autor der MMI-Studie, fürchtet angesichts des heute schon intransparenten Systems jedoch, dass die Fördermittel ineffizient eingesetzt werden.

Private Unternehmen springen ein

Ohnehin ist fraglich, ob die Sozialwohnungsquoten steigen, wenn der soziale Wohnungsbau aus der Bundeskasse bezuschusst wird. 2006 hat der Bund den Ländern die Wohnungsbauförderung übertragen. Damit der Bund nun wieder fördern darf, muss das Grundgesetz geändert werden. Das gelingt nur, wenn der Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit zustimmt. Am vergangenen Mittwoch haben die Ministerpräsidenten der Länder die Grundgesetzänderung zurückgewiesen. Nun muss sich der Vermittlungsausschuss damit befassen. Der ZIA, Dachverband mehrerer Immobilienverbände, erwartet vor Ostern 2019 keine Entscheidung. Der Knackpunkt: Finanzminister Olaf Scholz verlangt, dass die Länder auf jeden Förder-Euro des Bundes einen aus dem eigenen Haushalt drauflegen. Seitdem die Wohnungsbauförderung in die Hand der Länder gegeben wurde, überweist der Bund Ausgleichszahlungen. Diese Zahlungen sind aber nicht zweckgebunden. „Die Länder stopften mit Fördergeldern Haushaltslöcher“, stellte Joachim Wieland, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Speyer, für den Zeitraum von 2007 bis 2013 fest. Für Wieland war es ein Fehler, den Ländern allein die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau zu überlassen. Heute ist der Ansturm der Berechtigten für eine Sozialwohnung so groß, dass die Mitarbeiter der Wohnungsämter kaum hinterherkommen. Die Stadt München versucht über die Onlineplattform „Sowon“ Ordnung ins Chaos zu bringen. Bewerben können sich nur Haushalte, deren Anspruch auf eine geförderte Wohnung vom Amt für Wohnen und Migration durch eine Registriernummer und ein Passwort bestätigt ist. Das Amt vergibt Punkte, die anzeigen, wie dringend der Bedarf ist. Die fünf Kandidaten mit der höchsten Dringlichkeit werden für eine Wohnung ausgesucht. Wer sie bekommt, entscheidet letztlich der Wohnungseigentümer. Für die Bewerber gleicht das Prozedere einer Lotterie: Für gut geschnittene Wohnungen in attraktiven Lagen registriert die Münchener städtische Wohnungsgesellschaft GWG um die 200 Bewerbungen. Das Unterfangen, genügend Sozialwohnungen für alle Anwärter zu schaffen, scheint aussichtslos. Bürgermeister sind schon froh, wenn ihre Vorgänger die kommunale Wohnungsgesellschaft nicht verkauft haben. So können sie die Mietentwicklung noch ein wenig beeinflussen. In Berlin hat der Senat die landeseigenen Wohnungsgesellschaften aufgefordert, die Mieten um nicht mehr als zwei Prozent zu erhöhen. In München hat Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) im Juli für die frei finanzierten Wohnungen der städtischen Wohnungsgesellschaften Gewofag und GWG eine Mietpreisbremse durchgesetzt. Die städtischen Vermieter dürfen ihre Mieten binnen drei Jahren um maximal zehn statt der rechtlich möglichen 15 Prozent erhöhen. Ferner müssen sie zehn Prozent unter der Mietspiegelmiete bleiben.

Solche Maßnahmen bremsen den Mietanstieg ein wenig, schließen aber nicht die Lücken im Sozialwohnungsbestand. Es ist auch nicht so, dass städtische Gesellschaften besonders viele Sozialwohnungen in ihren Beständen haben oder neu bauen, zeigen Stichproben des Handelsblatts. Unter den 52 000 Wohnungen der Frankfurter ABG zählt ein gutes Drittel zu den Sozialwohnungen. Am Neubau haben sie einen Anteil von 30 Prozent. Bei der Degewo, Berlins größtem landeseigenen Vermieter, sind nur rund acht Prozent der rund 70 000 Einheiten klassische Sozialwohnungen. Immerhin soll die Hälfte des Neubaus aus geförderten Wohnungen bestehen. Bei Hamburgs größtem Vermieter, der kommunalen Saga, sind ein gutes Fünftel der 132 000 Einheiten Sozialwohnungen. Bei den 2 000 Einheiten, mit deren Bau im vergangenen Jahr begonnen wurde, beträgt der Anteil laut Unternehmensangaben allerdings 90 Prozent. Würden sich nicht andere Wohnungsunternehmen, etwa Genossenschaften oder auch private Unternehmen mit einer besonderen Eigentümerstruktur, im sozialen Wohnungsbau engagieren, wäre der Bestand noch geringer. Eine dieser privaten Firmen ist die Vivawest mit ihren 120 000 Wohnungen in Nordrhein-Westfalen. Sie wird bis 2023 rund 6 300 neue Wohnungen bauen, davon 20 Prozent mit Fördermitteln, so dass die Mieten gedeckelt sind. „Im Ruhrgebiet steht im Vergleich mit Städten wie Köln, Düsseldorf oder Münster hinreichend bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung, das durchschnittliche Mietniveau ist im Revier deutlich niedriger“, sagt Vivawest-Chefin Claudia Goldenbeld. Hier fehlen auch weniger Sozialwohnungen als anderswo in Deutschland. Überall aber haben die Unternehmen das gleiche Problem: „Den Wohnungsbaugesellschaften fehlen wie dem gesamten Markt adäquate Grundstücke, aber auch das nötige Eigenkapital. Das muss von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werde“, fordert GBI-Vorstand Markus Beugel. Forscher Brauckmann warnt, dass es mit Geld allein ohnehin nicht getan ist: „Um die unteren Einkommensschichten mit genügend angemessenem Wohnraum zu versorgen, muss auch das System zur Verteilung der geförderten Wohnungen geändert werden.“ Aber dieses weitere Fass will offensichtlich zurzeit kein Politiker aufmachen.

"Den Wohnungsbaugesellschaften fehlen adäquate Grundstücke, aber auch das nötige Eigenkapital", sagt Markus Beugel GBI-Vorstand.

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