Eine flächendeckende Herausforderung

Das Zusammenspiel aus fortlaufendem demographischem Wandel und einem unzureichenden Angebot an adäquaten Betreuungs- und Wohnformen für ältere Menschen stellt eine der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahre dar. Um hierbei zielgerichtet und nachhaltig reagieren zu können, ist es unabdingbar sich mit regionalen Bedarfs- und Versorgungslagen auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang steht das Moses Mendelssohn Institut (MMI) der GBI bereits seit vielen Jahren beratend zur Seite.

Laut Prognose des Statistischen Bundesamtes werden im Jahr 2050 rund 23 Millionen Menschen in Deutschland älter als 65 Jahre sein. Aktuell sind dies rund 18 Millionen Menschen. Damit steigen die Nachfrage und Notwendigkeit von altersgerechtem Wohnraum in den kommenden Jahren noch einmal erheblich an.

Zwar ist der Alterungsprozess im gesamten Bundesgebiet zu beobachten, dennoch lassen sich hier regionale Unterschiede feststellen. Dies verdeutlicht sich bei einer Betrachtung der demographischen Entwicklung nach Raumkategorien. So lässt sich für die peripheren (seit 2011 + 12,5%) sowie Verdichtungsräume (+11,6%) eine überdurchschnittliche Zunahme der Bevölkerung ab 65 Jahren feststellen (Deutschland +10%). Von besonderer Relevanz bezüglich der Schaffung bedarfsgerechter Wohnraumangebote für ältere Menschen ist hierbei letztere Raumkategorie. Mehr als die Hälfte aller Senioren in Deutschland lebt in Verdichtungsräumen, welche auch das suburbanisierte Umland der Großstädte sowie die stärker verstädterten Kreise umfassen.

Neben einer qualitativen Zunahme älterer Personen lassen sich zudem gesellschaftliche Veränderungsprozesse feststellen, die Einfluss auf die zukünftige Wohnraumversorgung nehmen. Im Kontext einer zunehmenden Individualisierung und Ausdifferenzierung von Lebensstilen sind Senioren heute bestrebt, möglichst lange selbstbestimmt und selbstständig zu leben, im Idealfall in ihrer eigenen Wohnung. Doch kommt der genutzte Wohnraum aktuell nur in den wenigsten Fällen den besonderen Bedürfnissen im Alter nach. So bestehen vielfach bauliche Barrieren, es wird eine zu große Wohnfläche genutzt oder der Wohnstandort ist durch Monofunktionalität und fehlende Versorgungsinfrastruktur im fußläufigen Umfeld geprägt.

Diese Problemlagen kumulieren sich in besonderer Weise im suburbanen Raum, sowie in Klein- und Mittelstädten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte eine ausgeprägte Stadt-Land-Wanderung ein und junge Familien entdeckten das Einfamilienhaus am Stadtrand als bevorzugte Wohnform. Rund 56% aller Wohnungen in den Verdichtungsräumen befinden sich in Ein- oder Zweiparteienhäusern. In peripheren Räumen liegt der Anteil bei rund 60%. Entsprechend hoch fällt hier mit 96m² beziehungsweise 95m² die durchschnittliche Wohnungsgröße aus. Hieraus resultieren für Senioren, die überwiegend in Ein- und Zweiparteien-Haushalten leben, vielfach Probleme, welche unter anderem die Bewirtschaftung und Instandhaltung, aber auch die Finanzierung des Wohnraumes umfassen. Auch im Pflegefall können sich hier Schwierigkeiten ergeben, die auf ungünstige Grundrisse oder die Verteilung der Wohnfläche auf mehrere Stockwerke zurückzuführen sind.

Unabhängig von der Wohnform stellen die bestehenden baulichen Barrieren eine der zentralen Herausforderungen hinsichtlich einer bedarfsgerechten Wohnraumversorgung älterer Menschen dar. Laut Zensus (2011) wurden knapp 70% aller Wohnungen in Deutschland vor 1980 errichtet. Hingegen haben eine altersgerechte Ausstattung und Gestaltung des Wohnraumes erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Hochrechnungen des MMI (2019) zeigen, dass rund 85% des Wohnungsbestandes in Mehrparteienhäusern allein aufgrund baulicher Gegebenheiten nur eingeschränkt den altersbedingten Wohnbedürfnissen nachkommen dürften.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bundesweit eine dringende Notwendigkeit zur Schaffung von altersgerechtem Wohnraum besteht. In Bezug auf die aktuellen Marktentwicklungen lassen sich allerdings gewisse Urbanisierungs- und Zentralisierungstendenzen feststellen. Doch bei einer differenzierten Bedarfsbetrachtung zeigt sich, dass aufgrund der demographischen Ausgangslage sowie der Bau- und Siedlungsstruktur der Handlungsdruck im suburbanen Raum, aber auch in den zahlreichen Klein- und Mittelstädten besonders hoch ist. Generell gilt es hierbei unterschiedliche Aspekte wie individuelle Wohnvorstellungen, den Grad des Unterstützungsbedarfes sowie die finanziellen Möglichkeiten zu berücksichtigen.


Beitrag von Dr. Eike C. Winkler. Dr. Eike C. Winkler ist Prokurist des Moses Mendelssohn Instituts.

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